CETA, TTIP und TiSA – Heuschreckenkapitalismus vs. Soziale MarktwirtschaftWarum führen die Freihandelsverträge CETA, TTIP und TiSA nicht zu einer mehrheitsfähigen Handels- und Außenwirtschaftspolitik?
Die aktuelle Handelspolitik der EU und der Bundesregierung verliert an Rückhalt und Glaubwürdigkeit. Je länger die Kontroverse um die geplanten Freihandelsverträge dauert, desto grundsätzlicher lehnen immer mehr Menschen diese Abkommen aus guten Gründen ab, wie zum Beispiel überzogenem Investorenschutz, „regulatorischer Kooperation“, Aushöhlung unserer Sozial- und Umweltstandards, Wettbewerbsdruck für unsere Landwirtschaft und dgl. mehr. Verständnislos und überrascht tun die Politiker den Widerstand mündiger Bürger als Auswirkung einer sog. „Empörungsindustrie“ ab. Kürzlich erklärte Minister Sigmar Gabriel auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos, die Debatte in Deutschland sei schwierig, weil es ein reiches und hysterisches Land sei. Herr Gabriel versucht nun, CETA ohne Zustimmung des Bundestages auf den Weg zu bringen. In vielen hunderten Veranstaltungen kreuz und quer durch die Republik bekommt man durchaus ein Gefühl dafür, was die Menschen von der Politik erwarten:
1. Erhalt des europäischen Modells der sozialen Marktwirtschaft
Es gibt heute in Deutschland und in Europa ein tiefsitzendes Misstrauen gegen TTIP, CETA und TiSA und die dahinterstehende Wirtschafts- und Sozialpolitik. TTIP ist in den Augen vieler Menschen kein isoliertes Phänomen, sondern Symptom für eine tieferliegende Fehlentwicklung. Die Heilsversprechungen von Globalisierung, Liberalisierung und Deregulierung ziehen nicht mehr – es sind Schreckgespenster geworden. Die meisten Menschen glauben nicht mehr, dass ihnen eine solche Politik nützt. Sie nehmen eine schleichende Aufweichung Prinzipien sozialer Marktwirtschaft wahr. Ein Drittel der Arbeitnehmer in Deutschland hängen im Niedriglohnsektor fest und sehen ihre Lebensperspektiven gefährdet.Es geht nicht darum, Globalisierung grundsätzlich abzulehnen, sie ist ja bereits eine Realität, mit der wir leben müssen und hat positive wie negative Seiten. Es liegt aber an uns, diese Globalisierung so zu gestalten, dass nicht nur eine kleiner werdende Elite etwas davon hat.Der Widerstand gegen CETA, TTIP und TiSA reicht weit in die Mitte der Gesellschaft hinein. Sie ist eine Bewegung für den Erhalt des europäischen Modells der sozialen Marktwirtschaft gegen die Dampfwalze des Neoliberalismus.
2. Nicht nur Rechte sondern auch Pflichten für Konzerne und Investoren
Eng damit zusammen hängt die weitverbreitete Beobachtung, dass das Kräfteverhältnis zwischen Politik und Wirtschaft aus der Balance geraten ist. Aber nicht nur Banken und Investoren sind für unser gesellschaftliches Zusammenleben wichtig, sondern auch die Menschen, die Arbeitswelt, die Umwelt und das Gemeinwohl – leider allerdings nicht für die Wirtschaftspolitik der EU-Regierungen. Nichts symbolisiert diese Schieflage besser als der geplante Investorenschutz durch geheime Schiedsgerichte, die die Steuerzahler zu milliardenschweren Entschädigungen an Konzerne verurteilen können. Die Vereinbarung von sog. Nachhaltigkeitskapitel zur Einhaltung Sozial- und Umweltstandards sollen dagegen nur unverbindlich sein. Eine neue, mehrheitsfähige Handelspolitik muss diese Schieflage beseitigen. Es darf keine Paralleljustiz geben, in der Investoren Sonderklagemöglichkeiten erhalten.
3. Die Umgestaltung zur Nachhaltigkeit voranbringen
Wir alle wissen es: Wir brauchen eine Umgestaltung unseres Wirtschaftssystems und unserer Lebensweise zu mehr Nachhaltigkeit, denn die Güter unserer Erde sind begrenzt! Doch sind wir mit einem Wirtschaftssystem konfrontiert, in dem Regulierungen für mehr Nachhaltigkeit schnell zu Wettbewerbsnachteilen werden, weil sie woanders unterlaufen werden können. Öko- und Sozialdumping lohnt sich und solange das so ist, wird es stattfinden. Diese verfehlte Prioritätensetzung wird bei der unter TTIP geplanten „regulatorischen Kooperation“ noch weiter begünstigt, wo im Vorfeld Einfluss auf die Gesetzgebung genommen wird, damit der Freihandel zwischen den Vertragspartnern nicht behindert wird. Regulierung wird so zum „Handelshemmnis“. Mit dieser Politik brauchen wir einen klaren Bruch, denn sie ist ein Irrweg.
4. Der Globalisierung Grenzen setzen
Wann ist eigentlich die Grenze der politisch gewollten Marktöffnung erreicht?In den Verbändegesprächen des Landwirtschaftsministeriums wird die warnende Stimme des Bauernverbands vor den geplanten Freihandelsabkommen mittlerweile praktisch ignoriert. Dort finden Ideen Gefallen, die eine Öffnung weiterer Märkte weltweit fordern, um bessere Absatzmöglichkeiten zu erschließen. Die Befürworter bedenken dabei aber nicht, dass der heimische Markt im Gegenzug mit ausländischer Konkurrenzware – zu Billiglöhnen produziert – überflutet wird.Globalisierung muss den öffentlichen Interessen dienen und darf nicht ständig von der Politik um jeden Preis vorangetrieben werden – es kann geboten sein, sie zu entschleunigen oder gar einzubremsen. Ein Weltmarkt für Smartphones ist sinnvoll, ein Weltmarkt für Milch ist Irrsinn.Das aber ist eine Machtfrage. In der Auseinandersetzung um TTIP ist es auch eine Machtprobe zwischen einer mutigen und stärker werdenden Zivilgesellschaft geworden, die eine andere Wirtschaftspolitik verlangt und einem Parteien-Mainstream quer durch Europa, der offenbar dazu erst bereit ist, wenn er die bisherige Politik nicht mehr durchsetzen kann.
5. Abkehr von der Privatisierungslogik
Ziel der vielen Freihandelsabkommen, allen voran des Dienstleistungsabkommens TiSA, ist es, immer weitere Teile des Dienstleistungssektors einem Profitdenken zu unterwerfen. Da werden Krankenhäuser, Schulen oder der öffentliche Nahverkehr zu „Anbietern“ gemacht, statt zum Bestandteil der öffentlichen Daseinsvorsorge. Aber weder Bildung noch Gesundheit noch öffentlicher Verkehr müssen Gewinne machen, müssen Renditen an irgendwelche Anleger ausschütten, und sie haben auch nichts im Dax verloren. Auch wenn uns die Politik noch so oft versichert, die geplanten Freihandelsabkommen sollen die öffentliche Daseinsvorsorge nicht weiter angreifen: Fakt ist, dass sich diese Privatisierungslogik schleichend immer weiter entwickelt. Wir brauchen eine klare, glaubwürdige Abkehr von dieser Ideologie. Aber wir sehen höchstens taktische Rückzüge sowohl der EU-Kommission als auch der meisten Regierungen in der EU.
6. Wir brauchen einen ergebnisoffenen demokratischen Diskurs über unsere Handels- und Wirtschaftspolitik
Immer mehr Bürger stellen die Ausrichtung unserer Handelspolitik in Frage und lehnen Wirtschaftswachstum ab, der auf Kosten der Menschen und Natur geht. Sie fragen vielmehr nach, wo die Förderung regionaler Wirtschaftskreisläufe bleibt, warum dringend notwendige Investitionen in Infrastruktur, öffentliche und soziale Dienstleistungen, Kultur- und Klimaschutz ausbleiben. Sie stellen einen Zusammenhang her zwischen einer einseitig an der Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit ausgerichteten Politik und Lohndumping, Ausbeutung von Natur und Umwelt sowie steigender sozialer Ungleichheit. Der massive Druck der EU auf mehr Marktöffnung für Agrarexporte zum Beispiel in afrikanischen Ländern führt dazu, dass den Bauern dort die Existenzgrundlage genommen wird.Die Öffentlichkeit in Europa nimmt es nicht länger hin, dass die geplanten Freihandelsabkommen von einigen wenigen Beamten in einem obskuren „Handelspolitischen Ausschuss“ des EU-Rats verhandelt werden, nichtöffentlich und ohne Vorlage eines Rechenschaftsberichtes. Die Vertragsvereinbarungen, Protokolle und Tagesordnungen sind nur den Mitgliedern des Europa-Parlaments unter erschwerten Bedingungen zugänglich und unsere eigenen Parlamentarier können sie nicht auswerten. Niemand erfährt welche Regierung wie abstimmt, was die jeweiligen Regierungen dort fordern, ablehnen, beschließen.
In den Augen einer breiten Mehrheit quer durch Europa sind solche Entscheidungsverfahren undemokratisch und elitär und deshalb werden sie nicht mehr akzeptiert.
Handelspolitische Geheimdiplomatie, die die soziale Marktwirtschaft untergräbt und einem Heuschreckenkapitalismus Tür und Tor öffnet, darf keine Zukunft haben!
Mary Fischer und Viktoria Puchsteinfür die BI Chiemgauer Seenplatte gegen Gasbohren
Quellen: Das Erste/Panorama/19.4.2016/Wie TTIP das Land spaltetwww.ttip-unfairhandelbar.de/Forum Umwelt und Entwicklung (Jürgen Maier, www.forumue.de )
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